
Seit »The Poppy War« 2018 auf englisch erschienen ist bin ich um dieses Buch herumgeschlichen. Jeder hat davon geschwärmt wie genial es ist, wie düster und heftig. Meine Erwartungen sind mit jeder positiven Meinung so sehr gestiegen, dass ich irgendwann ein wenig Angst hatte zu dem Buch zu greifen, weil was, wenn es nicht so gut war, wie ich es mir ausmalte? Erwartungen, der altbekannte Feind beim Lesen.
Offensichtlich konnte ich mich nach all den Monaten nun doch dazu überwinden »The Poppy War«, beziehungsweise die deutsche Ausgabe »Im Zeichen der Mohnblume: Die Schamanin« zu lesen – und wurde in vielerlei Hinsicht überrascht bei der Lektüre.

Rin ist eine Kriegswaise und würde alles tun, damit sie aus dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, rauskommt. Voller Eifer lernt sie für das Keju, einen landesweiten Test, um an der Militärakademie Sinegard aufgenommen zu werden. Dort kommt sie – wie der Titel vermuten lässt – mit Schamanismus in Berührung und wird vor einige schwierige Entscheidungen gestellt, als erneut Krieg in Nikan ausbricht.

Es gibt zwei Arten, wie man an »Im Zeichen der Mohnblume« herangehen kann. Entweder man behandelt es wie jedes andere Fantasy Buch auch und erfreut sich einfach an der Geschichte oder aber man informiert sich im Vorfeld ein wenig über die geschichtlichen Ereignisse, welche diese Reihe inspiriert haben.
Ich habe letzteres getan, weil ich einfach gerne wissen wollte worauf ich mich einlasse und vor allem auch, weil mir der Zweite Sino-Japanische Krieg, auf dem dieser erste Band basiert, so überhaupt nichts gesagt hat. Diese Wissenslücke wollte ich gerne füllen. Falls ihr euch auch vor der Lektüre ein wenig belesen wollt, kann ich diesen Blogbeitrag auf dem Blog Read By Tiffany sehr empfehlen und außerdem habe ich dieses und dieses Interview mit R. F. Kuang auf YouTube geschaut. Beide fand ich sehr interessant, weil man noch ein wenig was zu dem Schreibprozess erfährt und eben noch ein wenig mehr, was diese Reihe genau inspiriert hat.
Ich fand es sehr lohnenswert mich im Vorfeld ein wenig mit »Im Zeichen der Mohnblume« zu beschäftigen, insbesondere weil Protagonistin Rin als Antiheldin konzipiert ist. Dementsprechend ist sie nicht an jeder Stelle des Buches sympathisch, sondern trifft manchmal Entscheidungen, die für einen als Leser möglicherweise schwierig nachvollziehbar sind. Keine großen Sachen, bei denen ich jetzt mit dem Kopf geschüttelt hätte, aber Rin ist nicht unbedingt eine Sympathieträgerin. Nichtsdestotrotz habe ich wahnsinnig gerne über sie gelesen, eben weil ich weiß, in welche Richtung ihre Geschichte noch gehen wird. Man begleitet Rin in »Im Zeichen der Mohnblume« über einige Jahre, beginnend damit, dass sie für den Test lernt, der sie schließlich nach Sinegard bringt, wo sie ausgebildet wird. Und gerade weil man Rin über einen längeren Zeitraum folgt, merkt man, wie sehr die Ereignisse in Nikan sie nach und nach prägen und sie zu der Entscheidung drängen, die sie am Ende trifft. Eine Entscheidung, die irgendwo nachvollziehbar ist, nachdem man so viel mit Rin durchgemacht hat, aber eben auch sehr fragwürdig was das große Ganze angeht.
R. F. Kuang schreckt in »Im Zeichen der Mohnblume« nicht davor zurück Gewalt ausdrücklich zu schildern. Wer sich die Triggerwarnungen durchliest bekommt einen kleinen Eindruck, mit was Rin und man selbst als Leser hier konfrontiert wird. Man könnte jetzt darüber diskutieren, ob das Buch stellenweise unnötig brutal war, aber in Anbetracht dessen, dass gerade diese Brutalität Rins Charakter formt, finde ich das nicht. Trotzdem, gerade im letzten Drittel sollte man im richtigen Mindset sein, denn die Beschreibungen einiger Kriegsverbrechen sind nicht ohne. Ich stelle mich bei sowas eigentlich wirklich nicht an, aber ich musste das Buch zwischendrin zur Seite lesen und etwas ein wenig fröhlicheres lesen, weil Rins Geschichte bzw. die ihres Landes einfach stellenweise so bedrückend war.
Was die Handlung angeht war ich zwischendrin hin und her gerissen. Anfangs war ich von der nicht chronologischen Erzählweise des ersten Kapitels irritiert, als es dann aber nach Sinegard ging war ich total angefixt und konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen. Ich dachte ich wüsste, in welche Richtung sich »Im Zeichen der Mohnblume«, entwickeln würde, aber Fehlanzeige. Dank einiger Zeitsprünge – irgendwann habe ich völlig das Zeitgefühl verloren, ehrlich gesagt -, schreitet die Handlung stellenweise sehr rasch voran. Das fand ich prinzipiell nicht schlimm, eigentlich sogar eine sehr interessante Erzählweise, wenn ich jetzt darauf zurückblicke, aber eben auch ein wenig… irritierend. Ich hatte das Gefühl »Im Zeichen der Mohnblume« ist nicht der klassischen Spannungskurve gefolgt, die man aus so vielen anderen Büchern kennt, was das Lesen aber nur umso spannender gestaltet hat. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was in diesem ersten Band passieren würde und das Ende hat mich ganz schön kalt erwischt in mancher Hinsicht. Jetzt bin ich allerdings nur umso neugieriger auf den zweiten Band, bei dem ich wieder keine Ahnung habe, wie es weitergehen wird.

Obwohl ich »Im Zeichen der Mohnblume« “nur” 4 Sterne gegeben habe ist es doch ein Jahreshighlight – einfach weil dieses Buch mich sehr beschäftigt hat und ich die Leseerfahrung so genossen habe. Außerdem war das hier erst R. F. Kuangs Debüt und ich bin wahnsinnig gespannt, wo sie sich als Autorin noch hinentwickelt, vor allem auch was andere Genres angeht. Ich kann euch die Interviews mit der Autorin nur ans Herz legen, ich höre ihr richtig gerne zu und finde sie kommt sowohl dort als auch auf Twitter, wo ich ihr seit einigen Monaten schon gerne folge, wahnsinnig sympathisch rüber.