

Vanessa ist fünfzehn Jahre, als ihr Lehrer Jacob Strane zum ersten Mal Interesse an ihr bekundet. Sie ist etwas einsam und so entsteht zwischen den beiden trotz des Altersunterschied schnell eine Beziehung, die verboten ist. Eine Beziehung, die Vanessa ihr ganzes Leben lang begleiten und nicht loswerden wird. Als 2017 die me too Bewegung aufkommt werden Stimmen anderer Opfer Stranes laut und Vanessa muss sich fragen, ob ihre Geschichte wirklich das ist, was sie all die Jahre geglaubt hat oder ob sie das Geschehene neu interpretieren muss.
Triggerwarnungen: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, Vergewaltigung, Suizid

Meine dunkle Vanessa ist ein Buch, das keine leichte Kost war – aber es war auch einfach verdammt gut geschrieben. Ich wollte das Buch schon länger auf englisch lesen, kam aber irgendwie nie dazu und habe mich nun sehr gefreut, dass auch eine deutsche Übersetzung erschienen ist. Denn das Buch ist zwar wie gesagt vielleicht nicht unbedingt leicht zu lesen, aber ich habe das Gefühl es ist ein wichtiges Buch, das man durchaus gelesen haben sollte. Es bringt einen tollen Einblick in die Me-Too-Debatte und wieso dieses Thema so verzwickt ist. Es ist irgendwie so ein Autounfall-Buch. Zwar passieren schreckliche Dinge, aber man kann auch nicht aufhören hinzuschauen/weiterzulesen und für diese Sogwirkung bewundere ich Meine dunkle Vanessa sehr.
Normalerweise mag ich lange Kapitel überhaupt nicht, aber hier hat mich das tatsächlich gar nicht gestört, dafür war ich viel zu gefesselt von Vanessas Geschichte. Es gibt zwei Erzählstränge, einmal 2017 und einmal bekommt man die Geschehnisse quasi live mit, denn der andere spielt zunächst 2000 und nähert sich dann nach und nach der Gegenwart an. Die Kapitel sind jeweils sehr lang, waren aber trotzdem nicht überwältigend, weil die Szenen eine angenehme Länge hatten, sodass man auch mitten im Kapitel gut pausieren konnte.
Das Buch deckt mit der Zeit zwischen 2000 und 2017 also einen ziemlich großen Zeitraum ab, was wiederum heißt, dass man Vanessa ungefähr die Hälfte ihres Lebens begleitet- ebenso wie Strane. Anfangs war ich etwas irritiert, dass die erwachsene Vanessa immer noch in Kontakt mit Strane steht, weil ich da einfach nicht mit gerechnet hatte. Aber es macht die ganze Situation natürlich nur um so komplizierter.
Ich kann nicht die eine Sache verlieren, die mir jetzt schon so lange Halt gibt. […] Es muss eine Liebesgeschichte sein, darauf kann ich nicht verzichten. Verstehen Sie? Das ist ganz, ganz wichtig für mich. […] Denn wenn es keine Liebesgeschichte ist, was ist es dann?
Kate Elizabeth Russel: Meine dunkle Vanessa, München 2020, S. 384.
Und das war es auch, was ich an diesem Buch am meisten mochte. Es war so verdammt packend und interessant, weil Vanessa in vielerlei Hinsicht keine typische Protagonistin ist. Zumindest nicht für mein Empfinden, denn ich fand sie ehrlich gesagt ziemlich unsympathisch, zumindest als Erwachsene. Und habe mich dann immer schlecht gefühlt, weil sie ja eigentlich ein Opfer ist. Gleichzeitig konnte ich ihr Verhalten aber auch so gut nachvollziehen, wenn man ihre Vergangenheit kennt, die nach und nach aufgedeckt wird. Es war einfach super interessant zu lesen, wie die Beziehung zwischen Vanessa und Strane funktionierte, denn was einem als Leser als offensichtlich falsch entgegen springt, nimmt Vanessa wiederum ganz anders war – oder redet es sich zumindest schön. Was ebenfalls sehr nachvollziehbar war. Dadurch steckt man beim Lesen so ein bisschen zwischen den Stühlen, was einfach verflucht spannend war.
Ich hatte das Gefühl die Autorin ist mit dem Thema sehr plakativ umgegangen, hat sehr deutlich gemacht, was ihre Intention mit dem Buch war. Es gibt Bücher, bei denen man über die Aussage rätseln muss, aber das war hier definitiv nicht so. Es gibt einige Zitate, die Meine dunkle Vanessa sehr gut beschreiben und deutlich machen wieso dieses Thema so schwierig ist und nicht so schwarz und weiß, wie man auf den ersten Blick denkt. Also klar, irgendwie schon. Natürlich ist falsch, was zwischen Vanessa und Strane passiert ist, aber gerade Vanessas Umgang damit war das, was dieses Buch eben so spannend gemacht hat. Wie sie sich erst nach und nach selbst eingestehen kann, dass in ihrem Leben viel falsch lief und das ganze eben doch nicht so einvernehmlich war, wie sie immer wieder vorgibt.
Ich erkenne jetzt, was mir eigentlich schon viel früher hätte aufgehen müssen, dass sie hilflos war und auf der Suche nach einer Möglichkeit, das alles zu begreifen – ihn, sich selbst, was er getan hatte und warum es immer noch so einen langen Schatten wirft, obwohl es scheinbar nur eine Kleinigkeit war.
Kate Elizabeth Russel: Meine dunkle Vanessa, München 2020, S. 442.
Kate Elizabeth Russel hat es mit Meine dunkle Vanessa jedenfalls wunderbar geschafft Emotionen beim Leser hervorzurufen – zumindest bei mir. Das Buch hat mich stellenweise so wütend gemacht, es gab Szenen, die einfach ungemütlich zu lesen waren und dann auch wieder welche, wo ich wahnsinnig viel Mitleid mit Vanessa hatte. Es ist eines dieser Bücher, wo man die Figur gerne mal in den Arm nehmen würde. (Auch wenn die das vermutlich nicht wollen würde.) Allein deshalb empfand ich es als wahnsinnig gelungene Lektüre.
Bringt das Buch jetzt viele neue Erkenntnisse? Nein. Aber es war einfach eine sehr eindrückliche Geschichte, die ich so schnell nicht vergessen werde. Die Me-Too-Bewegung wird aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, zum einen diejenigen, die offen darüber reden (können und wollen), was ihnen passiert ist und dann Figuren wie Vanessa, die dem Ganzen eher negativ gegenüber stehen, eben weil ihr eigener Missbrauch ihr halbes Leben geprägt hat und ihre Sichtweise, dass das alles eine große Liebesgeschichte war, eine Art Schutzmechanismus ist.
Aber wenn eine Frau sich jetzt nicht zu Wort melden will, wenn sie der Welt nicht alles Schlimme erzählen mag, das ihr jemals zugestoßen ist, was ist sie dann? Schwach? Egoistisch?
Kate Elizabeth Russel: Meine dunkle Vanessa, München 2020, S. 312.
So düster und ungemütlich Meine dunkle Vanessa letztendlich stellenweise zu lesen war – bleibt bei der Thematik halt nicht aus -, so habe ich das Buch aber auch nicht als übertrieben grausam empfunden. (Looking at you, Ein wenig Leben.) Tatsächlich fand ich das Ende sogar ein wenig hoffnungsvoll, sodass ich mit einem guten Gefühl aus dem Buch rausgegangen bin. Nicht übermäßig eitel Sonnenschein natürlich, aber ein stimmiges, passendes Ende, das ich sehr gelungen fand.

Ich glaube ich kann mich nur noch wiederholen, aber Meine dunkle Vanessa hat wirklich Eindruck bei mir hinterlassen. Es ließ sich wahnsinnig gut lesen und ich war teilweise glatt überrascht, wie schnell ich einige Abschnitte verschlungen habe, ohne richtig zu merken, dass die Zeit verging. Letztendlich ist es ein Buch, bei dem man quasi von Anfang an weiß, was passiert, wie das Ganze ausgehen wird, in der Hinsicht bietet es nicht viele Überraschungen, aber es ist eben einfach verdammt gut geschrieben.

Autor/in: Kate Elizabeth Russel
Seiten: 446
Verlag: C. Bertelsmann
Sprache: Deutsch
Übersetzung: Ulrike Thiesmeyer
Reihe: –
Wertung: 5 Sterne
*Vielen Dank an den C. Bertelsmann Verlag für das Rezensionsexemplar!
Hallo Katharina,
okay, wow, eine tolle Rezension, nach der ich das Buch jetzt irgendwie lesen möchte? Als ich es das erste Mal gesehen habe, war ich milde interessiert, aber deine Meinung ist mittlerweile noch eine, nach der ich es doch lesen möchte, weil das Thema so einnehmend umgesetzt worden zu sein scheint. Und weil es so extrem gut geschrieben klingt.
Liebe Grüße
Dana
Liebe Dana,
freut mich sehr, dass dir die Rezension gefallen hat! Dann hoffe ich sehr, dass dir das Buch gefällt und bin gespannt auf deine Meinung. 💛
Liebe Grüße,
Katharina