
Normalerweise greife ich praktisch nie zu non-fiction. Zum Teil, da ich zum Beispiel immer dachte, dass ich Biografien einfach langweilig finde, weil was interessiert mich schon das Leben wildfremder Menschen? Aber auch, weil Lesen für mich immer mit Spaß und Ausgleich gleichzusetzen war und ich mir dachte ich lese für die Uni schon genug Texte, die “unspaßig” sind und non-fiction wäre mir zu trocken.
Was sich genau geändert hat? Keine Ahnung. Wahrscheinlich habe ich einfach ein paar positive Erfahrungen mit non-fiction gemacht, mich getraut zu Büchern zu greifen, bei denen mich einfach die Themen sehr interessieren. Und ich bin sehr froh, dass ich mich endlich überwinden konnte. Denn eigentlich bilde ich mich doch auch in meiner Freizeit ganz gerne fort oder lasse mich von Büchern überzeugen, zu denen ich üblicherweise nicht greifen würde. Das lockert mein ganzes Leseleben ein wenig auf und ich hatte die letzten Wochen wahnsinnig viel Freude an den folgenden Büchern, deshalb würde ich sie gerne mit euch teilen. Unbekannt sind die meisten euch wahrscheinlich nicht, denn ich bin oft genug auch nur dadurch auf sie aufmerksam geworden, dass viele andere sie bereits empfohlen haben. Trotzdem will ich es mir natürlich nicht nehmen lassen auch ein paar Worte zu den Werken zu verlieren.
Unsichtbare Frauen: Wie eine von Männern gemachte Welt die Hälfte der Weltbevölkerung ignoriert – Caroline Criado-Perez
»Unsichtbare Frauen« ist so ein Buch, das ich erst einmal auf Instagram gesehen habe – den Titel fand ich gleich sehr interessant – und das dann plötzlich immer und immer wieder aufgetaucht ist. Wie, wenn man ein neues Auto hat und plötzlich das gleiche Modell überall herumfahren sieht. Irgendwie kam ich also gar nicht drum herum und da das Thema einfach super spannend klang, dachte ich mir »Unsichtbare Frauen« könnte vielleicht ganz lehrreich sein. Immerhin habe ich mir die letzten Jahre ein wenig was zu Feminismus angelesen und bin immer bereit noch mehr dazuzulernen, weil man lernt ja bekanntlich nie aus. Außerdem dachte ich es könnte einfach auch hilfreich sein beim nächsten “Wo sind Frauen denn heutzutage bitte noch benachteiligt?”-Gespräch ein paar mehr Beispiele und Quellen haben zu können. Und was soll ich sagen, in der Hinsicht hat »Unsichtbare Frauen« wirklich nicht enttäuscht. Ich war quasi von der ersten Seite an Feuer und Flamme.
Caroline Criado-Perez zeigt in »Unsichtbare Frauen« an verschiedenen Beispielen auf, in welchen Lebensbereichen Frauen überall benachteiligt sind. Das war gleichermaßen erschreckend wie faszinierend. Über viele Dinge habe ich mir selten bis gar keine Gedanken gemacht bisher, wie zum Beispiel, dass Infrastrukturen in Städten oft für Männer gedacht sind und Frauen es schwieriger haben von A nach B zu kommen oder dass Autos was Sicherungsvorkehrungen angeht auch nach einem männlichen Dummy gestaltet werden, viele Dinge für Frauen aber einfach anders aussehen müssten. Das sind nur zwei Beispiele von vielen, aber es waren zwei, die mir besonders im Kopf geblieben sind.
Das mit dem “im Kopf behalten” ist ehrlich gesagt nämlich hier und da ein kleines Problem für mich gewesen. »Unsichtbare Frauen« ist mit über 400 Seiten relativ lang und stellenweise musste ich Seiten mehrfach lesen, weil ich einfach immer wieder abgeschweift bin. Das kam meistens dann vor, wenn die Autorin mit Zahlen um sich geschmissen hat oder in einem Satz von verschiedenen Situationen in drei verschiedenen Ländern spricht. Dadurch fiel es mir ab und an schwer dem roten Faden zu folgen, der sich durch jedes Kapitel zieht. Letztendlich ist das aber nur ein kleiner Kritikpunkt, denn insgesamt fand ich »Unsichtbare Frauen« einfach nur wahnsinnig faszinierend. Dieses Buch hat mich irgendwo wütend gemacht, weil mir gar nicht klar war, dass Frauen in so vielen Bereichen benachteiligt sind und wie einfach man manchmal Abhilfe schaffen könnte, aber es macht auch ein wenig Hoffnung, wenn ein paar positive Beispiele angeführt werden, wo die Überwindung der Gender Data Gap gute Ergebnisse erzielt und das Leben von Frauen einfacher gemacht hat.
In vielerlei Hinsicht war »Unsichtbare Frauen« also sehr augenöffnend und lehrreich für mich, weshalb ich es auf jeden Fall jedem ans Herz legen würde, der sich ein wenig für das Thema interessiert.
(Die 1-Stern-Rezensionen auf Amazon von verletzten Männer-Egos sind zur Erheiterung übrigens auch sehr lesenswert, kann ich ebenfalls sehr empfehlen.)
Verbrechen – Ferdinand von Schirach
Ferdinand von Schirach ist ein Autor, den ich bis letztes Jahr, als »Der Fall Collini« in die Kinos kam, überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. In der Buchhandlung standen dann plötzlich seine Bücher wieder sehr präsent herum, aber wirklich zum Stehenbleiben und Klappentext lesen haben mich die gefühlt alle gleich aussehenden Cover nie gekriegt – bis ich dann letztens auf Instagram mehrfach über »Verbrechen« gestolpert bin. Und mit einem Mal ärgerte ich mich, dass ich nicht schon früher diese unscheinbaren Bücher einfach mal genauer in Augenschein genommen habe, denn »Verbrechen« (beziehungsweise die gesamte Reihe), ist ein Buch genau nach meinem Geschmack.
In »Verbrechen« erzählt von Schirach auf jeweils ~20 Seiten über das Schicksal verschiedener Personen, die ihm im Laufe seiner Karriere als Strafrechtler über den Weg gelaufen sind. Als Jurastudentin finde ich sowas also per se schon spannend, aber auch für nicht Jurabegeisterte ist »Verbrechen« natürlich durchaus interessant.
Besonders eindrücklich fand ich bereits das Vorwort. Dort zitiert von Schirach seinen Onkel, der in einem Brief schrieb: »Die meisten Dinge sind kompliziert, und mit der Schuld ist das so eine Sache.«
Damit weiß man schon gleich zu Beginn, dass »Verbrechen« keine leichte Lektüre wird, denn natürlich berichtet von Schirach über Menschen, bei denen es kein schwarz oder weiß gibt, bei denen man richtig nicht von falsch unterscheiden möchte, während man über ihre Schicksale liest. Das Thema Schuld finde ich wahnsinnig faszinierend und allein deshalb war »Verbrechen« schon eine großartige Lektüre für mich.
Dabei wählt von Schirach in meinen Augen eine gute Mischung von schrecklichen und schockierenden, aber auch hoffnungsvollen Geschichten. So wird mal als Leser nicht von Leid überrollt, das fand ich sehr angenehm.
Und viel mehr gibt es zu »Verbrechen« eigentlich auch gar nicht zu sagen. Das Buch ist relativ kurz mit knapp unter 300 Seiten und liest sich durch die kurzen Erzählungen so weg, weshalb ich es auch innerhalb kürzester Zeit verschlungen habe. Deshalb wird »Verbrechen« mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht mein letztes Buch von Ferdinand von Schirach bleiben, die Companions zu »Verbrechen« – »Schuld« und »Strafe« – habe ich bereits auf dem Wunschzettel, genauso wie »Der Fall Collini.«
Why I’m No Longer Talking To White People About Race – Reni Eddo-Lodge
»Why I’m No Longer Talking To White People About Race« ist nicht nur ein unglaublich langer Titel, zu meiner Schande stand das Buch auch unglaublich lange in meinem Regal – ungelesen. Beziehungsweise, angefangen, aber liegen gelassen trifft es eher. Das Vorwort habe ich gleich mehrfach gelesen, aber dann bin ich immer wieder beim dem ersten Kapitel Histories nach ungefähr dreißig Seiten hängen geblieben. Wieso weiß ich gar nicht genau, denn es ist nicht so, dass dieses erste Kapitel langweilig wäre. Eher im Gegenteil. Es ist nur so, dass »Why I’m No Longer Talking« finde ich ein Buch ist, bei dem man ein wenig aufpassen muss, ein Buch, das sich eben nicht so weg lesen lässt und dafür musste ich ein wenig in der Stimmung sein – was ich oft nach einem Unitag eben einfach nicht war. Da wollte ich abschalten. Als ich mir dann jetzt aber wirklich Zeit genommen habe um »Why I’m No Longer Talking« endlich zu lesen, klappte es viel besser. Mir fehlte wohl nur die Motivation mich mit ein wenig schwierigeren Themen auseinanderzusetzen. Aber besser spät als nie, nicht wahr?
Und obwohl Histories wie gesagt durchaus bereits ein spannender Einstieg war, danach wurde das Buch für mich noch interessanter, denn es wird sich aktuelleren Themen zugewendet. Natürlich hängen Geschichte und Gegenwart untrennbar zusammen, aber mit dem aktuellen Geschehen konnte ich persönlich einfach ein wenig mehr anfangen und noch ein wenig mehr aus den Kapiteln mitnehmen. Besonders das dritte und fünfte Kapitel – »What Is White Privilege?« und »The Feminism Question« – haben mir wahnsinnig gut gefallen, auch wenn natürlich das gesamte Buch sehr lehrreich war.
»Why I’m No Longer Talking« ist keine leichte Lektüre, sowohl von den Themen, als auch teilweise finde ich vom Vokabular, aber das Lesen lohnt sich definitiv und ich konnte einiges daraus mitnehmen. Vor allem aber ist es ein Buch, das ich mit Sicherheit nicht zum letzten Mal gelesen haben werde, sondern dass ich mir immer wieder vor Augen halten werde(n muss).
Eine deutsche Übersetzung ist für diejenigen, die zu dem Buch nicht auf englisch greifen wollen mittlerweile übrigens auf deutsch im ??? Verlag unter dem Titel »« erschienen.
Born A Crime – Trevor Noah
Ich hätte nie gedacht, dass ich das Mal sage, aber ich glaube so lange werde ich Fan von Biografien. Nicht, dass ich sonderlich viele gelesen hätte. »Born A Crime« war genau genommen erst die zweite Biografie, zu der ich bisher gegriffen habe, aber ich fand dieses Buch einfach großartig. Außerdem lese ich gerade »Becoming« von Michelle Obama und das finde ich ähnlich toll wie »Born A Crime«.
Auf »Born A Crime« aufmerksam geworden bin ich vor allem dadurch, dass ich ganz gerne ab und an die Daily Show gucke, die Trevor Noah moderiert und ich finde ihn dort immer so unterhaltsam, dass ich nie abgeneigt war sein Buch zu lesen, in der Hoffnung, dass dieses ähnlich witzig werden würde – und ich wurde nicht enttäuscht. Denn »Born A Crime« behandelt ernste Themen, es wird sehr viel über Apartheid und Rassismus gesprochen, aber Trevor Noah schaffte es trotzdem auch immer wieder mich alle paar Seiten zum Lachen zu bringen. Ich würde hier übrigens empfehlen zum Hörbuch zu greifen, das liest der Autor nämlich selbst und das macht die Leseerfahrung noch ungefähr zehn Mal besser. Ich habe sowohl Kapitel gelesen, als auch welche gehört und hatte dann beim Lesen immer die Stimme im Kopf, was einige Szenen einfach noch lustiger gemacht hat.
Wie gesagt ist großes Thema in diesem Buch Apartheid und wow, mir war gar nicht klar was für eine Wissenslücke ich in dem Hinblick hatte. Klar, in der Schule wurde mal drüber gesprochen im Englischunterricht und ich wusste, dass die Situation schlimm war, aber… irgendwie wusste ich gleichzeitig zu wenig drüber, um wirklich einen Eindruck davon zu bekommen, wie schlimm das System in Südafrika war. »Born A Crime« konnte mich also gut unterhalten, hat mir aber auch eindrücklich aufgezeigt wie wenig ich eigentlich über Südafrika – oder eher Afrika generell – weiß. Dementsprechend viel konnte ich auch aus diesem Buch mitnehmen.
Deshalb: Auch wenn euch der Name Trevor Noah vielleicht nichts sagt, das Buch lohnt sich. Sehr.
Auch hier: Wer das Buch nicht auf englisch lesen mag, die deutsche Übersetzung ist unter dem Titel »Farbenblind« bei ??? erschienen.